Verfasst von: alanwallislloyd | Januar 28, 2010

Wer Nürnberg sät, erntet Erfurt Morton Rhues Roman „Die Welle“ kommt ins Kino

[5. Mai 2008]

Ich hatte schon immer meine Probleme mit der deutschen Filmindustrie. Soviel Talent, so viele Mittel, soviel Potential, und was ist das Resultat? Von einigen erstklassigen Ausnahmen abgesehen, wird uns eine Enttäuschung nach der anderen präsentiert. Woran kann das bloß liegen? Ich denke, es liegt nicht zuletzt an einem Mangel an Originalität, an Mut – und vor allem auch an dem Vertrauen zu den Zuschauern.

Diese These sah ich schon wieder bestätigt, als ich mir vor einigen Wochen Dennis Gansels neuen Film „Die Welle“ im Tegeler Cinestar-Kino anschaute. Die Prämisse des Films – es geht um die Verpflanzung von Morton Rhues berühmtem Roman über ein schiefgelaufenes Sozialexperiment in einer amerikanischen High School nach Deutschland – fand ich zwar wenig originell, dennoch interessant und auch ziemlich gewagt. Schließlich ist Neofaschismus ein anerkanntes und äußerst heikles Problem an deutschen Schulen. Ich war deshalb gespannt zu sehen, wie sich Gansel dieser Herausforderung stellen würde – und wie es mit dem Mut und Vertrauen des deutschen Films steht. Das Ergebnis wird leider auf meine Liste gescheiterter deutscher Produktionen eingetragen.

Dabei ist „Die Welle“ kein schlechter Film. Die jugendlichen Schauspieler sind begabt und engagiert und ihre Lebenswelten werden überzeugend dargestellt. Jürgen Vogel, der Klaus Kinski des neudeutschen Kinos, ist wahrscheinlich die beste Besetzung für die Rolle des ausgeflippten Lehrers, der im Lauf einer Projektwoche zum Thema „Autokratie“ eine neofaschistische „Welle“ unter seinen ahnungslosen Schülern in Bewegung setzt.

Das Potential war also vorhanden, aber „Die Welle“ blieb doch nur ein Wellchen im Wasserglas. Mich störten vor allem zwei Aspekte des Films. Erstens: Die Schule, in der die Geschichte spielt, ist einfach zu wenig „deutsch“, um glaubwürdig zu sein. Mir ist jetzt erst klargeworden, wie uramerikanisch Rhues’ Roman, der auf wahren Tatsachen beruht, wirklich ist. Die Schüler an seiner kalifornischen Schule sind von morgens bis abends auf dem Campus, engagieren sich in Arbeitsgruppen, Sportmannschaften, Orchestern, Clubs usw. usf. Korpsgeist, Fahnenappelle und Großkundgebungen gehören zum amerikanischen Schulalltag. Deutsche Schüler dagegen verbringen sowenig Zeit wie nur möglich in der Schule, außerschulische Aktivitäten sind so gut wie unbekannt, echte Schulcampusse gibt es kaum und von Schwimmbädern und organisierten Wasserballmannschaften können unsere Jugendlichen nur träumen. Der Typ des charismatischen Lehrers, der im Film dargestellt wird, ist ebenfalls ein typisch amerikanisches Phänomen. Solche Lehrer sind hierzulande eine Seltenheit, schon deswegen, weil der Kontakt zwischen Lehrern und Schülern so oberflächlich ist. Und seien wir ehrlich: In Deutschland, der Heimat von Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel und Heinrich Spoerls „Feuerzangenbowle“, suchen Jugendliche überall Vorbilder, aber selten im Lehrerzimmer. Insofern ist die deutsche Edelschule, die im Film gezeigt wird, zwar vorbildlich ausgestattet, aber alles andere als glaubwürdig. Wenn der Faschismus nach Deutschland zurückkommt, dann wird die Schuld am allerwenigsten bei engagierten Lehrern und rührigen Kultusministerien zu suchen sein.

Lehrer Lämpel, das unfreiwillige Urbild aller deutschen Lehrer

Aber damit kann ich leben – ich habe schließlich nichts gegen Fantasy-Filme. Das Hauptproblem für mich lag darin, dass der Höhepunkt der Geschichte dermaßen drastisch und stümperhaft umgeschrieben wurde, dass nichts vom erstrebten Lerneffekt übrig bleibt. Man stelle sich vor: Die Schüler sind alle in Uniform erschienen und stehen in Reih und Glied, um eine Live-Übertragung einer Rede ihres „Führers“ zu hören. So weit, so gut. Anstatt aber, dass der Lehrer den Vorhang beiseite schiebt und den erschrockenen Schülern ein Video von Adolf Hitler, dem eigentlichen geistigen Führer der „Welle“, vorführt, sodass die Schüler sich schämen und für alle Zeiten den Neofaschismus abschwören, inszeniert Dennis Gansel einen… Amoklauf.

Wie bitte? Es stimmt wirklich. Die neue Moral der Geschicht’ heißt offenbar: Neofaschismus führt zu Amokläufen. Genial! Wie man aber in meiner alten Heimat sagt: „It just ain’t so“.

Ich vermute zwei Gründe für diese Entscheidung. Zunächst einmal Bürokratismus. Die Filmförderung Berlin-Brandenburg wollte wohl auf ihre Kosten kommen und gleichsam zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen. Neonazis und Amokläufe auf einmal bekämpfen – die perfekte Lösung! Nürnberg wird sozusagen als Vorstufe zu Erfurt verkauft. Es gibt aber ein kleines Problem: Diese Erscheinungen sind zwar gleichermaßen schrecklich, haben aber wenig miteinander zu tun. Die soziale Isolation eines gemobbten Amokläufers und die neofaschistische „Gleichschaltung“ einer aufgebrachten Meute sind sogar klare Gegensätze. Warum sollte man also diese Themen vermischen?

Ich denke, die Filmemacher hatten einfach Angst vor ihrem jugendlichen Publikum – bzw. vor ihren Sponsoren. „Was ist“, hat wohl einer der Produzenten gefragt, „wenn Hitler am Ende gezeigt wird, aber die Zuschauer reagieren nicht wie erwartet, bzw. wenn sie dann erst recht zu Neonazis werden?“ Daher musste am Ende Blut fließen, der Lehrer musste sage und schreibe in Handschellen abgeführt werden, damit auch der dümmste Schüler im Kinosaal begreift, dass Faschismus an deutschen Schulen nichts zu suchen hat.

Kinoerlebnisse wie dieses erwecken bei mir den Eindruck, dass wir als Gesellschaft tatsächlich noch nicht so aufgeklärt sind, wie wir uns einbilden. Oder die deutsche Filmindustrie ist noch nicht soweit. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf.

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